Qualitative Faktoren in der Investitionsrechnung

Qualitative Faktoren in der Investitionsrechnung

Investitionsentscheidungen erfordern aufgrund ihrer langfristigen Auswirkungen eine sorgfältige Analyse. Diese kann anhand des Leitfadens der Investitionsrechnung durchgeführt werden. Für jede Handlungsmöglichkeit werden die finanziellen Konsequenzen mittels der Differenzmethode ermittelt und dann mit Vollständigen Finanzplänen (VoFi) z. B. im VoFi-Endwert zusammengefasst. Mit der finanziellen Analyse (einschließlich Sensitivitätsanalysen) ist die Beurteilung einer Handlungsmöglichkeit jedoch noch nicht abgeschlossen. Denn es muss noch geprüft werden, welche nicht monetarisierten Effekte zusätzlich in die Entscheidung einfließen müssen. Als Einführungsbeispiel sei ein Autokauf dargestellt.

Wirtschaftlich gesehen würde man das Fahrzeug auswählen, welches bei Erfüllung der Voraussetzungen (insb. Platz, Sicherheit, Mindestleistung) die geringsten Kosten pro Monat oder km verursacht. Bei Firmenfahrzeugen und erst recht bei Privatfahrzeugen spielen aber noch andere Faktoren eine Rolle. Dies können Hierarchiegesichtspunkte sein oder im privaten Bereich die antizipierte Reaktion von Nachbarn, Freunden, Kollegen usw.. Auch nur so lassen sich die Auswahlentscheidungen gerade deutscher Käufer erklären. Diese qualitativen Faktoren können somit kaufentscheidend sein.

Messbarkeit nicht monetarisierter Faktoren

Einfach monetarisierbar sind solche Eigenschaften einer Handlungsmöglichkeit, die direkt in Geldeinheiten umgerechnet werden können. Die Kraftstoffkosten eines LKW sind ein Beispiel. Der in Liter gemessene Verbrauch (physikalische Eigenschaft) kann direkt über den Dieselpreis in Geldeinheiten umgerechnet werden.

Es sind somit immer 2 Schritte zu durchlaufen. Zunächst muss die Mengenkomponente erhoben werden (z. B. ein Dieselverbrauch von 30 l/100km) und dieser wird dann in eine Zahlung transformiert durch Einsatz einer Bewertungsfunktion, welche der physikalischen Größe eine Geldgröße zuordnet. Wenn der Dieselpreis 1,2 €/l beträgt, so ergibt sich die monetarisierte Wirkung als Produkt von Mengen- und Wertkomponente, hier 30 * 1,2 = 36 €/100km. Durch diese Monetarisierung über 2 Stufen lassen sich die Kraftstoffkosten mit anderen Eigenschaften, z. B. den Wartungskosten, direkt verrechnen.

In anderen Fällen können jedoch Probleme auftreten, entweder weil die Menge nur schwer erfasst werden kann oder weil die Bewertungsfunktion kein metrisches Ergebnis liefert. Ohne die Umrechnung in Geldeinheiten entsteht der Nachteil, dass eine einheitliche Messung auf einer Geld-Skala nicht möglich ist. Somit können Vorteile in einem Kriterium nicht ohne Probleme mit den Nachteilen in anderen Kriterien verrechnet werden. Wären alle Kriterien monetarisierbar, wäre die Bewertung aller Handlungsmöglichkeiten sehr einfach, weil z. B. der Endwert aller monetarisierten Effekte im Rahmen eines Vollständigen Finanzplans ermittelt werden könnte. Die Handlungsmöglichkeit mit dem besten Endwert würde gewählt.

Für die Messung der physikalischen Eigenschaften können folgende Skalenniveaus unterschieden werden:

  • Kardinale Skalen: Es ist eine exakte Messung (z. B. in Meter oder Kilogramm) möglich. Wenn dann auch noch ein Nullpunkt bestimmt werden kann, handelt es sich um eine Verhältnisskala, ansonsten um eine Intervallskala. Für letztere können Differenzen/Intervalle gemessen werden. Temperaturen sind ein Beispiel, für die man angeben kann, wie groß die Differenz zwischen 2 Temperaturen ist.
    Bei Vorliegen einer Verhältnisskala können auch Multiplikationen und Divisionen gebildet werden. Ein Beispiel wäre die Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeugs.
    Das Problem auch der kardinalen Skalen – also Verhältnis- und Intervallskala – besteht darin, dass es teilweise keine Funktion gibt, welche die jeweilige physikalische Größe (z. B. Geschwindigkeit) in eine Geldgröße transformiert.
  • Das nächst niedrigere Niveau besteht in der Ordinalskala. Hier können keine Differenzen mehr zwischen zwei Merkmalsausprägungen ermittelt werden, sondern nur noch Rangfolgen. Beispielsweise können Konsumenten angeben, welche Variante eines neuen Produktes ihnen lieber ist, aber sie können den Unterschied nicht quantifizieren. Es ist offensichtlich, dass es in diesem Fall noch schwieriger wird, die Ergebnisse in Geld umzurechnen.
  • Das niedrigste Skalenniveau hat die Nominalskala. Hier kann nur noch angegeben werden, ob eine bestimmte Merkmalsausprägung vorliegt oder nicht. Farben stellen ein Beispiel da. Für sie lässt sich keine objektive Reihenfolge mehr bilden.

Um zu einem Gesamturteil zu kommen, muss versucht werden, monetarisierbare und nicht direkt monetarisierbare Faktoren in ein Urteil zusammenzuführen. Dafür wird häufig der Einsatz der Nutzwertanalyse vorgeschlagen, die mit Punktbewertungsmodellen versuchen, die Handlungsmöglichkeit mit dem höchsten Nutzen zu finden. Da dabei exakte finanzielle Größen in weniger exakte Punkte umgerechnet werden und auch die Gewichtung ungenau ist, kann ihr ausschließlicher Einsatz für Investitionsentscheidungen nur selten befürwortet werden.

Beispiele für nicht monetarisierte Faktoren

Nach Ermittlung der finanziellen Ergebnisse müssen z. B. folgende weitere Aspekte geprüft werden, welche die Entscheidung beeinflussen können:

  1. Prestige: Wie im Einführungsbeispiel dargestellt können Prestigeüberlegungen eine wesentliche Rolle spielen, auch wenn die Entscheidungsträger dies nicht immer zugeben würden. Im VW Golf auf die Geschäftsleitungsparkplätze zu fahren, wenn alle anderen Kollegen der gleichen Hierarchiestufe Luxuslimousinen gewählt haben, ist außerordentlich selten.
  2. Nachhaltigkeitsaspekte wie Umweltschutz: Selbst wenn das Unternehmen alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten hat, erfolgt dennoch in vielen Fällen eine zusätzliche Belastung insb. natürlicher Ressourcen, die nicht vom Unternehmen getragen werden (externe Kosten). Eine CO2 Emission erzeugt an anderer Stelle Schäden, die häufig nicht durch CO2-Zertifikate oder Steuern vollständig abgedeckt werden. Wenn die Internalisierung solcher externen Kosten nicht umfassend gelingt, kann das Unternehmen aus Verantwortung (CSR Corporate Social Responsibility) Ausgleichsmaßnahmen durchführen. In diesem Sinne wären die entsprechenden Kosten einer jeden Handlungsmöglichkeit zu belasten.
  3. Mitarbeitermotivation: Handlungsmöglichkeiten können die Zufriedenheit der Mitarbeiter unterschiedlich stark beeinflussen. In solchen Fällen kann es häufig vernünftig sein, Handlungsmöglichkeiten zu wählen, die finanziell nicht auf dem ersten Platz stehen. Als Praxisbeispiel seien LKW genannt. Größere Schlafkabinen in den Führerhäusern können objektiv und subjektiv Vorteile bringen, auch wenn der Kaufpreis zunächst steigt.
  4. Vergnügen: Unter Technikern besteht der Ehrgeiz, jeweils die neuesten Maschinen, Computer, Softwareversionen usw. zu haben. Bei Firmenwagen können Fahrleistungen genannt werden.
  5. Sicherheit: Maschinen mit geringerem Kaufpreis können ggf. deswegen billiger sein, weil an der Sicherheitsausstattung gespart wurde. Da sollte das Unternehmen im Interesse der Mitarbeiter bereit sein, zusätzliches Geld für sicherere Arbeitsbedingungen auszugeben.
  6. Komfort: Gerade bei Fahrzeugen kann es für die Nutzer wichtig sein, dass sie hohen Fahrkomfort aufweisen. Damit werden die Fahrten weniger anstrengend, auch wenn das nur schwer zu messen ist.
  7. Geschwindigkeit der Anlagen: Eine schnellere Anlage bietet größeren Spielraum hinsichtlich produzierbarer Mengen, auch wenn erhöhte Mengen nicht das wahrscheinliche Szenario darstellen (vgl. zur Planung mit Szenarien den Beitrag Sensitivitätsanalyse).
  8. Strategische Erfordernisse: Ein Produkt wird trotz erwarteter roter Zahlen eingeführt, weil die Unternehmensleitung der Ansicht ist, dass das Unternehmen die Technik beherrschen muss bzw. im Markt vertreten sein muss. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass mit kaum einer anderen Begründung mehr Fehlentscheidungen getroffen werden als mit der Begründung „aus strategischen Gründen“. Der erfahrene Controller wird umgehend hohe Reserven bilden.
  9. Gegengeschäfte:  Ein Anbieter, der nicht der günstigste ist, wird ausgewählt, weil er im Gegenzug die Produkte des Anbieters kauft.
  10. Ästhetische Gesichtspunkte: Insbesondere im privaten Bereich sind viele Käufer bereit, mehr zu bezahlen, wenn Ihnen z. B. das Design gefällt oder wenn das Produkt in ihrer Lieblingsfarbe erhältlich ist.

Je nach Entscheidungsproblem können noch weitere Aspekte aufgeführt werden. Allen Punkten ist gemeinsam, dass sie sich nicht direkt in Geldeinheiten messen lassen. Es muss also eine indirekte Bewertung versucht werden.

Bewertung nicht monetarisierter Faktoren

Auch wenn die nicht monetarisierten Faktoren zunächst nicht in den Wirtschaftlichkeitskriterien (am besten VoFi-Endwert) berücksichtigt werden, sollten sie in irgendeiner Form in die Gesamtbewertung eingehen.

Ein erster pragmatischer Schritt besteht in der Festlegung von Mindestniveaus, die jede Handlungsmöglichkeit erfüllen muss. Dies ist bei jedem Skalenniveau möglich. So kann entschieden werden, dass nur LKW angeschafft werden, welche die schärfste Stufe der Abgasreinigung erfüllen. Genauso können LKW eliminiert werden, die nicht ein Mindestmaß an Komfort für die Fahrer bieten. Selbst die Farbe kann zu einer Vorauswahl benutzt werden.

Für die Handlungsmöglichkeiten, welche alle Mindestanforderungen erfüllen, müssen im nächsten Schritt die noch nicht monetarisierten Konsequenzen in Geld umgerechnet werden. Eine exakte Lösung ist häufig nicht möglich, aber es lassen sich zumindest Näherungsverfahren erarbeiten. Mit ihnen wird versucht, die Werte der qualitativen Faktoren in Geldeinheiten zu übersetzen. Folgende Ansätze können Hilfslösungen bieten:

a) Opportunitätskostenansatz

Im Opportunitätskostenansatz wird ermittelt, wie bestimmte Wirkungen auf andere Weise erzeugt werden können bzw. wie negative Wirkungen kompensiert werden können. Bei der Monetarisierung wird somit ein Umweg genommen.

Zunächst muss unterschieden werden, ob es sich um eine positive oder negative Komponente des Gesamtpaketes handelt. Bei positiven Komponenten kann gefragt werden, wie die noch nicht monetarisierte Wirkung auf eine andere Weise erzielt werden kann. Wenn die Wahl zwischen 2 Fahrzeugen getroffen werden soll, bei denen das eine über ein höheres Image verfügt, kann überlegt werden, wie teuer die Generierung gleicher Imagewirkungen sein würde, wenn andere Instrumente eingesetzt würden. Ggf. kann eine Sonderlackierung einen ähnlichen Effekt erzielen. Deren Mehrkosten wären dann zu berücksichtigen.

Im Unternehmen kann die Entscheidung für eine umweltfreundliche Produktionsweise dazu führen, dass das Image bei den Kunden, Lieferanten, Kapitalgebern usw. steigt. Hier wäre nach dem Preis alternativer Maßnahmen zu fragen, welche zu gleichen Ergebnissen führen. Wenn sich das Unternehmen für ein Event zur Kundenbindung entscheidet, ist zu ermitteln, wie teuer es mit den nächstbesten Maßnahmen gewesen wäre, die gleiche Wirkung bei den Kunden zu erzielen.

Handelt es sich um eine negative Komponente der betrachteten Handlungsmöglichkeit, so sollte das Unternehmen im Rahmen seiner sozialen Unternehmensverantwortung (CSR) überlegen, wie die negativen Auswirkungen aufgehoben werden können. Bei einem erhöhten CO2 Ausstoß kann ermittelt werden, wie teuer Ausgleichsmaßnahmen sein würden. Diese Kosten würden dann als negative Komponente in die Wirtschaftlichkeitsrechnung eingehen.

Über den Umweg der Opportunitätskosten kann somit in vielen Fällen eine akzeptable Monetarisierung erreicht werden. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse ungenauer sind als z. B. die Auszahlungen für Dieselkraftstoff.

b) Gesamtvergleich

Im Opportunitätskostenansatz war es möglich, über den Umweg von Opportunitäten eine Bewertung einiger nicht monetarisierten Wirkungen vorzunehmen. Dies sollte bei vielen Wirkungen gelingen. Schwierig wird es, wenn eine solche Monetarisierung über Umwege nicht sinnvoll durchführbar ist. Dann muss eine Abwägung erfolgen. Dazu werden alle monetarisierten und nicht monetarisierten Konsequenzen der Handlungsmöglichkeiten zusammengestellt. Der monetarisierte Teil kann z. B. über Endwerte im Rahmen eines vollständigen Finanzplans zusammengefasst werden. Demgegenüber können dann die Unterschiede im nicht monetarisierbaren Teil und nur in diesem verbal oder mit einem partiellen Punktebewertungsverfahren aufgeführt werden.

Im direkten Vergleich muss der Entscheidungsträger dann überlegen, ob der Vorsprung einer Handlungsmöglichkeit im finanziellen Teil ausreicht, um die genau beschriebenen Nachteile im nichtfinanziellen Teil auszugleichen.

Schlussfolgerung

Auch wenn nicht alle Konsequenzen von Handlungsmöglichkeiten mit Geldeinheiten bewertet werden können, so dürfen diese trotzdem nicht bei Entscheidungen unter den Tisch fallen. Stattdessen müssen Näherungsverfahren gefunden werden, mit denen eine möglichst gute Umwandlung von Nichtgeldgrößen in Geldgrößen gelingen kann. Einsetzbar sind Mindestniveaus, Analyse der Opportunitätskosten oder der Gesamtvergleich. Nur für den allerletzten überhaupt nicht monetarisierbaren Teil können Punktebewertungsverfahren zum Einsatz kommen. Aufgrund der höheren Ungenauigkeit müssen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Aber immerhin gelingt es damit, die bis jetzt nicht monetarisierten Kriterien qualifiziert in die Entscheidung einfließen zu lassen.

Wenn Sie Interesse an einen Beratungsgespräch haben dann können Sie hier mit uns Kontakt aufnehmen!

Ing. Rüdiger Frager, MAS, MBA
(akademischer Betriebswirt)